x Roachware: Schrecken der Bürokratie

Freitag, 23. Dezember 2011

Schrecken der Bürokratie

The Laundry RPG

Der öffentliche Dienst bietet Arbeit in allen möglichen Abteilungen, von Personalabteilungen über Finanzverwaltung bis hin zu geheimdienstlichen Tätigkeiten. Wenn man wüsste, was alles in manch versteckter Abteilung geschieht, würde man sich sicherlich wundern – und nicht nur über inkompetente Verfassungsschützer oder ungewöhnliche Kredite. Wirklich tief versteckt sind Sonderkommissionen, die sich mit wirklich seltsamen Ereignissen beschäftigen, Ereignissen, von denen die Bevölkerung glücklicherweise keine Ahnung hat.

So gibt es in Großbritannien die Capital Laundry Services, eine Instanz, die die Geheimdienste und Polizeiorganisationen unterstützt, wenn es um okkulte Probleme geht. Über die Kämpfe der Mitarbeiter dieser Laundry mit übernatürlichen Wesen und mit der Bürokratie berichtet Charles Stross, mit dem Augenmerk auf Bob Howard, tagsüber Netzwerkadministrator und nachts Computerdämonologe. Und über diese Institution gibt es auch ein Rollenspiel, herausgebracht von Cubicle 7.


Schon das Vorwort macht deutlich, dass auch das Rollenspiel im Stil der Bücher von Stross bleibt: ein älterer Mitarbeiter beauftragt einen jüngeren, zu prüfen inwieweit ein Sicherheitsleck abgedichtet werden kann, wobei bürokratische Hürden dies beinahe verhindern. Das Leck ist ziemlich gefährlich: eine Veröffentlichung, die anscheinend die Details der Laundry an die Öffentlichkeit gibt – in Form eines Rollenspiels ...

Auch das Cover zeigt bereits, wes Geistes Kind man ist: einer der Leute trägt ein T-Shirt von XKCD.

Das dem Spiel zugrundeliegende System dürfte vielen bekannt sein, wenn auch unter anderen Namen: es ist grundsätzlich eine Variation des Basic Role Playing (BRP) von Chaosium. BRP ist auch alleine erhältlich, aber meist mit Settings als 'selbständige Systeme'. Die sind wahrscheinlich vielen bekannt: RuneQuest, Stormbringer, Hawkmoon oder ElfQuest verwendeten es bereits in den 80ern, in Japan wird es unter anderem verwendet in Houkago Kaiki Club, Genom Seed oder Taitei no Ken RPG, aber das in Deutschland wohl bekannteste System, das BRP verwendet, ist Cthulhu.

Da Cthulhu unter Rollenspielern allgemein wohl bekannt ist, denke ich, ist es nicht nötig, das System ausführlich zu präsentieren. Wer es wirklich noch nicht kennt, kann gerne auf einem Rollenspiel-Con eine Proberunde machen: das Support-Team von Pegasus (zu dem ich auch gehöre) ist auf fast allen Cons in Deutschland, Österreich und der Schweiz vertreten. Ich selber will beispielsweise auf der Morpheus in Herne wieder eine Reihe Einsteigerrunden anbieten – Vorkenntnisse sind nicht notwendig, auch absolute Rollenspielneulinge können mitspielen.

Das interessante ist natürlich eher die Frage, wie sich das System mit dem vorgegebenen Hintergrund verträgt, und ob die Anpassungen an das Setting funktionieren. Und da kann ich nur sagen: absolut. BRP ist sowieso gut anpassbar, und die Capital Laundry Services wirken wie eine natürliche Erweiterung des ganzen.

Aber wie ist dieser Hintergrund? Im 2. Weltkrieg hat Alan Turing sich einen Namen gemacht, indem er die Computerwissenschaft förderte. Bletchley Park ist auch heute noch ein Begriff, wo Enigma geknackt wurde. Aber ... das allgemein bekannte Church-Turing-Theorem (alles, was von überhaupt berechnet werden kann, kann von einer Turing-Machine – einem Computer – berechnet werden) hat eine Lücke. Kurz gesagt besagt das Theorem vor allem auch, dass es Sachen gibt, die sich eben nicht mit einem Computer berechnen lassen, und daher nicht berechenbar sind.

Hier ergibt sich, dass Alan Turing selber in 1941 ein Theorem entwickelte, der dieses Theorem widerlegte. Es beruft sich hierbei auf parallele Universen, in denen Aktionen Effekte haben können und die Wechselwirkungen derselben mit unserem Universum. Effektiv eine Art Universums-Quantenmechanik. Und da gibt es in den Paralleluniversen – selten aber, aber es gibt sie – Wesen, die direkt Einfluss auf unser Universum nehmen können, wenn sie sich unserer Existenz bewusst werden. Dies geschieht, wenn jemand zaubert. Zauber sind in diesem Zusammenhang nichts anderes als hochkomplexe Algorithmen. Leider können sie auch dazu führen, dass sich Tore in unser Universum öffnen, und manche Wesen, die durch so ein Tor kommen, lieben die Menschen – besonders auf Toast und mit Ketchup.

Nachdem der 2. Weltkrieg vorbei war und die okkulten Bemühungen des 3. Reiches beendet, wurde auch der Großteil der okkulten Truppen Großbritanniens aufgelöst, aber die Laundry besteht immer noch, und führt einen Kampf gegen Wesen aus anderen Universen, gegen Kultisten, die diesen Wesen die Tore öffnen wollen – und gegen die Bürokratie, die ihnen die nötigen Ressourcen verweigert, weil 'es so etwas ja nicht gibt'.

Wenn das an die Situation eines Ermittlers in Cthulhu erinnert, so ist das sicher kein Zufall. Man kann die Laundry auch ohne weiteres al Organisation in Cthulhu-Abenteuern einsetzen. Es gibt sogar den Skill Chtulhu-Mythos, der genauso funktioniert wie bei Cthulhu.

Ein Unterschied zu Cthulhu ist, dass jeder Charakter neben dem Beruf noch eine Rolle (Schläger, Denker, Verrückter ...) erhält, die ihm auf bestimmte Skills einen einmaligen Bonus geben. Laundry-Mitarbeiter sind effektiver als Cthulhu-Anfänger, aber das liegt auch daran, dass sie bereits einiges wissen und speziell ausgebildet wurden. Außerdem erhält man einen Bonus abhängig von der Abteilung, in der man in der Laundry eingesetzt wird.

Der Großteil des Buches wird belegt von der Beschreibung der Welt der Laundry, und will gelesen werden. Ich könnte nur ein paar Highlights nennen, so eine Analyse der Zauberei, oder auch einer Übersicht der Kollegen in anderen Ländern. So gibt es in den Niederlanden den AIVD Eenheid G6 (Algemene Inlichtingen- en Veiligheidsdienst), in Deutschland die GSA (Geheime Sicherheitsabteilung), die leider nur einen Teil der Unterlagen der SSAA (Stasi Spezielle Administrations-Abteilung) retten konnte, und es gibt Gerüchte, dass Reste hiervon noch immer existieren, und so weiter. Motto der GSA ist übrigens 'Vorsprung durch Zauberei' (steht auch im Englischen Buch so auf Deutsch, als Zitat der Audio-Reklame!).

Am Ende wird statt großer Abenteuer (die sich schon durch die vielen kleinen Details in den Texten von selbst aufdrängen) zunächst einmal der schlimmste Fall beschrieben: Codename Alptraum Grün. Die cthulhuide Apokalypse. Es wird ausführlich darauf eingegangten, wie die Bevölkerung wohl reagieren wird, wenn die Wahrheit nicht mehr unterdrückt werden kann, und was man eventuell noch unternehmen kann.

Außerdem gibt es ein kleines Abenteuer, 'Going Down to Dunwich'. Dunwich ist eine Trainingsinstallation, in der nicht alles so ist wie es sein sollte. Mehr kann ich nicht sagen, denn vielleicht will ja noch der eine oder andere sich bei der Laundry bewerben, und dann auf Trainingsmission hierhin geschickt.

Alles in allem ist The Laundry ein wunderschönes Buch, das aufzeigt, wie man Cthulhu Now! auch spielen kann. Wer meine eher Mystery-orientierten Abenteuer kennt (sie werden gelegentlich als 'X-Files meets Cthulhu' beschrieben), wird feststellen, dass sie vom Flair her ganz gut in die Welt der Laundry passen würden. Auch, wer Cthulhu eigentlich nur in den 20ern spielt, sollte es sich einmal durchlesen, vielleicht hilft es, das Vorurteil, Cthulhu könne man nicht vernünftig in die heutige Welt übertragen, auszuräumen. Und wer das System nicht kennt, oder auch den Cthulhu-Mythos nicht kennt, kann mit diesem Band einen hervorragenden Einstieg gewinnen – The Laundry ist m.E. uneingeschränkt anfängertauglich.


HerstellerCubicle 7
AutorenGareth Hanrahan, Jon Hodgson, Dmonic McDowall-Thomas
Spieler RPG
Denken RPG
Glück RPG
Geschicklichkeit RPG
Preis 32 € (Druck), 18,10 (PDF)

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