x Roachware: Schildkröten können fliegen

Freitag, 19. November 2010

Schildkröten können fliegen

Anno Domini "Im Osten"

Es war einmal – so heißt zwar auch ein Spiel, aber um das geht es gerade nicht. Dennoch ist dieser Satz bei "Anno Domini" nicht fehl am Platze, denn es geht um Ereignisse, die "einmal waren" - das kann letztes Jahr gewesen sein, aber auch schon mehrere tausend Jahre vor unserer Zeitrechnung.

Wer die Spieleserie "Anno Domini" nicht kennt, dem sei kurz das Spielprinzip erläutert: Die Spieler erhalten Kärtchen, auf denen (meist sehr kuriose) geschichtliche Ereignisse vermerkt sind, allerdings steht die zugehörige Jahreszahl auf der Rückseite – und die wird zunächst nicht aufgedeckt. Wer an der Reihe ist, muß eines "seiner" Ereignisse in die dadurch immer länger werdende Reihe einordnen, und der nächste Spieler muss dann immer entscheiden, ob er diese Reihe so "glaubt", und wieder ein Ereignis dazupackt, oder ob er meint, dass da etwas nicht stimmt – dann werden die Karten umgedreht und kontrolliert. Wenn alles richtig war, bekommt der Zweifler Strafkarten, wenn aber irgendetwas nicht stimmt, gehen diese an den letzten Spieler, auch, wenn der den Fehler gar nicht eingebaut hatte. Er hätte ja selber zweifeln können. Dann wird eine neue Zeitlinie begonnen. Wer zuerst alle seine Karten "loswerden" konnte, hat gewonnen – insofern ist natürlich etwas "kurioses" Geschichtswissen praktisch, aber auch Chuzpe und dreistes Bluffen – wenn man dem Mitspieler überzeugend verkaufen kann, dass das ganz sicher vor- bzw nachher war (und der selber das erst recht nicht weiß), kann man vielleicht auch verhindern, dass ein solch dreister Bluff angezweifelt wird (und vielleicht liegt man ja sogar richtig).


Nun beschäftigt sich jede der bislang 23 (wenn ich richtig gezählt habe) Schachteln mit einem anderen "Oberthema", und dieses ist reichlich weit gefasst – seien es Sex & Crime, Frauen oder Flopps der Weltgeschichte – und hier liegt uns das neueste Set vor, das "im Osten" betitelt ist, und das als Serienzeichen einen kleinen Sumotori in der Ecke hat. Durch diese Symbole lassen sich die Karten leicht voneinander unterscheiden und können nach einem "gemischten" Spiel wieder richtig eingeordnet werden. Ja, ihr habt richtig gelesen, man kann die Sets beliebig mischen, wenn man mehrere vor Ort hat, dann wird das Geschichtschaos noch größer.

Worum also geht es "im Osten"? Nun, um geschichtliche Ereignisse, die – von Mtteleuropa aus gesehen – im Osten geschehen sind, und damit ist sowohl der nahe wie auch der mittlere und ferne Osten gemeint – also definitiv nicht nur etwas für Otakus uns sonstige Japan-Freaks. Und Urs Hostettler hat wieder eine so irre Menge seltsamer, teilweise absurder und dann auch wieder einfach nur kurios umschriebener Ereignisse gefunden, daß einem die Ohren schlackern. Seit wann werden zB in Indien Zebus als Vieh domestiziert? Seit wann bitteschön können Schildkröten fliegen? (das ist kein Scherz, genau dieser Satz stand auf der Karte. Ich habe sie tatsächlich richtig eingeordnet, aber aus einem ganz anderen Grund als dem tatsächlichen: die Karte meint einen gleichnamigen iranischen Film; ich musste an eine entsprechende Manga/Animefigur einer fliegenden Schildkröte denken und habe mir überlegt, wann die wohl auftauchte...), oder wann überschritt die Bevölkerungszahl Bangladeshs die von Russland (ist übrigens noch gar nicht so lange her)? "Schlimmstenfalls" steht auf einer Karte nur ein Wort – z.B. "Tofu" - ja seit wann gibt’s denn sowas? Wer diese Frage zu beantworten weiß, kann es dann ja (hoffentlich) richtig einordnen...

Natürlich haben es Asien-interessierte stellenweise etwas leichter, hier richtig einzuschätzen, aber es ist ein solch buntes Sammelsurium, daß man oft einfach spekulieren muß. Ich kann ja vielleicht behaupten, dass ich mich ganz gut mit Japan auskenne und vielleicht noch mit der Antike im Zweistromland, aber dazwischen hörts irgendwann auf – ergo: dreist sein, und einfach mal behaupten, und hoffen, dass es keiner merkt...

Insgesamt eine gelungene Mischung, und auch wegen der "Mischbarkeit" der Anno-Sets immer wieder anders – also hoher Wiederspielwert. Die Spieldauer ist auch reichlich variabel – wenn einer wirklich oft richtig liegt, kann es schon nach einer halben Stunde durch sein, es kann sich aber auch länger ziehen, wenn sich die Strafkarten bei allen häufen. Und wer weiß was als nächstes für ein Ereignis auftaucht?

Hersteller Fata Morgana i.Z.m. Abacus Spiele
Autor Urs Hostettler
Spieler 2-8
Denken 9
Glück 2
Geschicklichkeit 0
Preis ca. 11 €

1 Kommentar(e):

Graf Hardimund hat gesagt…

Ja, "anno domini" ist eine feine Sache. Ein ähnliches Spiel, wo man mit Geschichtswissen, Halbwissen oder bloßem Rateglück punkten kann, ist "Schätzen Sie mal" von "Huch & Friends". Das geniale an dem Spiel: jeder Spieler entscheidet selbst, wie genau er sich festlegen will. Wer eine engere Zeitspanne wählt, kriegt mehr Punkte - sofern er richtig liegt. Liegt er mit seinem von ... bis aber auch nur um ein Jahr neben dem richtigen Jahr, geht er leer aus. Ein interessanter Chancenausgleich zwischen Leuten, die "es wissen sollten" und solchen, die sich eben nur eine grobe Schätzung zutrauen.

Gruß
Graf Hardimund