x Roachware: Angstzustände

Montag, 5. Dezember 2011

Angstzustände

Paranoia - Troubleshooter

Als ich sah, dass dieses Rollenspiel eine neue deutsche Version erhalten würde, war ich natürlich neugierig. Immerhin ist Paranoia wohl eines der ältesten Rollenspiele überhaupt, und war auch eines der ersten, die ich kennen lernte (nach (A)D&D, DSA, T&T). Es ist beispielsweise älter als GURPS.

Der Mantikore-Verlag hat die letzte Version (die '25th Anniversary Edition' von 2009) ins Deutsche übersetzt und unter dem Namen ParanoiaTM - Troubleshooter veröffentlicht. Der Band ist mit über 270 Seiten alles andere als dünn, und der Hardvocereinband sehr stabil und schön. Überhaupt weiss die ganze Ausgabe zu gefallen.


Wer das System bereits kennt - welche Sicherheitsstufe hast Du eigentlich, Bürger, dass Du das kennen kannst? - wird feststellen, dass einiges 'wie immer' funktioniert, anderes aber auch 'wie immer' ganz anders.

Das beginnt bei der Charaktererschaffung: diesmal gibt es keine Talentbäume mit mehreren Verzweigungen, keine superkleinen Talentwerte oder hohen Fertigkeiten - die werden sowieso nicht schnell besser. Ein Charakter hat sechs Fertigkeiten, das sind so etwas wie Talentgruppen: Management, Verstohlenheit, Gewalt, Hardware, Software und Bioware. Für jede dieser Fertigkeiten wird ein Wert mit 1W20/2 (oder insgesamt 40 Punkte) bestimmt, wobei Ergebnisse unter 4 als '4' gelten, und auch beim Verteilen nicht mehr als 10 auf eine Fertigkeit gelegt werden darf. Dann erhält man Spezialisierungen (Talente / Spezialisierungen), bis zu sechs allegemeine und sechs besondere. Eine besondere Spezialisierung bezieht sich idR auf einen bestimmten Gegenstand, ein bestimmtes Ziel etc. - zum Beispiel 'meine Laserwaffe', eine allgemeine Spezialisierung entspricht in anderen Systemen eher dem Talent. Für jede allgemeine Spezialisierung muss man allerdings auch eine Schwäche (eine allgemeine Spezialisierung auf einem Wert von 1) in Kauf nehmen.

Dann gibt es eine besondere Spezialisierung durch die Servicegruzppe, zu der man gehört - Innere Sicherheit, Militär, Technischer Service etc. Hier sind durch Umorganisation im Alpha Komplex einige kleine Veränderungen eingetreten - IntSec heisst zum Beispiel jetzt InnSic...

Natürlich erhält jeder Spieler eine Mutantenkraft und eine Mitgliedschaft in einer Geheimgesellschaft, die ebenfalls ausgewürfelt werden - und gerüchteweise verlautet, dass man auch 'keine Mutation' erhalten kann... Ob das stimmt? Wie war noch einmal Deine Sicherheitsstufe?

Achja, Sicherheitsstufen folgen immer noch dem Regenbogensystem - allerdings heisst es nicht mehr zitro, sondern gelb (abgekürzt: G) und Grün wird jetzt mit N abgekürzt. Wie gesagt, es wurde neu organisiert. Nicht verändert hat sich, dass man als ROTER Troubleshooter beginnt.

Dann erhält jeder Spieler (nicht der Charakter, sondern der Spieler!) 25 Abartigkeitspunkte, mit denen man die Würfe beeinflussen kann - eigene Würfe einfacher machen, andere schwerer. Diese Abartigkeitspunkte können durch Spielleiter-Fiat vergrößert oder auch verkleinert werden - was dem Spielleiter gefällt, bringt Punkte. Auch hat jeder Charakter zwei Ticks, die auszuspielen ebenfalls Abartigkeitspunkte bringen soll.

Persönliche Ausrüstung und Credits (Geld) hat natürlich auch jeder Troubleshooter, sowie zwei weitere Attribute, deren Wert er aber nicht kennt: Kraft und Zugriff. Erstere bezieht sich vor allem auf die Mutation, und letztere auf das Wissen um die Zusammenhänge, wie der Komplex funktioniert. Es reicht ja nicht aus, zu wissen, wo man hin muss um einen neuen Lauf für die Laserpistole zu erhalten, man sollte auch wissen, dass man hierfür am besten den fertig ausgefüllten Vordruck 32-SKD-00-7 dem 3. Versorgungsassistenten in die Hand drückt, weil der der einzige ist, der die Dinger herausrückt - auch wenn 'zig andere in der Verteilerstelle das könnten, es aber meist nicht tun.

Auch gilt immer noch, dass man zu Beginn über sechs Klone verfügt, die mit einem verbesserten MemoMax-Verfahren das Wissen des Vorgängers erhalten. Allerdings kann ein erfolgreicher, loyaler und reicher Troubleshooter (jaja, ich weiss...) unter Umständen einen weiteren Sechserpack Klone erwerben - die Clone Ranger von früher haben daher ausgedient.

Die Abenteuer verlaufen immer noch genauso wie früher: hoffnungslos unterausgerüstete und -informierte Troubleshooter werden auf eine Aufgabe losgelassen, die ihnen mehrere Nummern zu groß ist, und der Spielleiter wartet auf die unvermeidlichen Anschuldigungen, jemand sei ein Verräter, und die nötigen Schußwechsel. Irgendwann ist die Aufgabe dann hoffnungslos versiebt (oder erfolgreich abgeschlossen - Spielleiter, Du Weichei!), und es gibt eine Abschlussbesprechung. Wer auch die überlebt, erhält eine Belobigung, evtl. eine Beförderung, und darf erst einmal wieder an die normale Arbeit zurückkehren. Bis der nächste Auftrag kommt...

Das ganze wird mit dem Paranoia-typischen schwarzen Humor beschrieben, so dass, auch wenn das Innenleben des Buches schwarzweiss bedruckt ist, das Blut und sonstige Körperflüssigkeiten von jeder Seite zu tropfen scheinen. Die Spielleiterabteilung bietet viele Optionen, wie man den Spielern das Leben schwer machen kann, aber auch eine gute Grundübersicht, wie ein Abenteuer insgesamt laufen kann, und viele, viele Optionen. Am Ende des Bandes gibt es auch noch zwei 'typische' Aufgaben für rote Troubleshooter: ein Reparaturauftrag und ein Transportauftrag. Nicht nur die Dinge gehen schief, die ein genrekundiger Spieler sowieso erwartet - es gibt in beiden Abenteuern auch eine ganze Reihe Wendungen, die auch ich nicht erwartet hätte.

Was das System angeht: ja es ist immer noch trotz des simulationistischen Mäntelchens ein stark erzählerisches Spiel - es wird erwartet, dass der Spielleiter sich die Würfel so zurechtbiegt, wie es für die Story am besten ist. Hierin unterschied es sich schon zu Urzeiten von den meisten anderen Systemen, die derartige Mechanismen eher verschämt versteckten (einmal abgesehen von Teenagers from Outer Space). Wer sich an die damaligen Runden noch zurückerinnert, wird kaum Eingewöhnungszeit nötig haben, da der Alpha Komplex sich gegenüber damals kaum verändert hat. Und auch Neulinge finden schnell den Weg in die Welt, die von Freund Computer regiert wird.

Wie bitte? Der Große Crash des Computers? Vulture Warriors of Dimension X? Crash Course Manual? Woher kennst Du diese Begriffe, Bürger? Gerüchte? Gerüchte sind Verrat. Ahja, danke, dass der Verräter soeben eliminiert wurde.

(Ob wir uns in dem Alpha Komplex befinden, der in den Werken von West End Games damals gecrasht ist, oder in einem anderen, der die Probleme nie hatte, weigern die Schreiber sich zu sagen. Überhaupt gibt es einige Bereiche, in denen Handwavium in industriellen Mengen angewandt wird. Ganz im Stile des Spiels, man kannch also wirklich nicht beklagen.)

Für mich war es ein nostalgisches Erlebnis, allerdings muss ich sagen, dass das System immer noch frisch daher kommt und immer noch Lust macht, es zu spielen. Wer also nicht ein absoluter Sandbox-Fanatiker ist, und einmal (zwischendurch) etwas zur reinen Entspannung bzw. als Abwechslung sucht, kann sich dieses Buch ohne weiteres zulegen.


HerstellerMantikore-Verlag
AutorAllen Varney (basierend auf dem original von Dan Gelber, Greg Costikyan, Eric Goldberg)
Spieler RPG
Denken RPG
Glück RPG
Geschicklichkeit RPG
Preis 34,95 €

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