x Roachware: Scheibenwelt

Montag, 5. Januar 2009

Scheibenwelt

Opus Anima Für ein Rollenspiel macht Opus Anima schon einen seltsamen Eindruck. Das dicke (über 400 Seiten !) Grundregelwerk ist in schwarzweiß gehalten, und erinnert von außen nur in seiner Dicke an ein Rollenspielregelwerk, macht ansonsten einen eher nüchternen Eindruck. Innen gibt es dann auch nur wenige, aber interessante Illustrationen, wobei das ganze auch im Inneren in schwarzweiß bleibt. Herausgeber des ganzen ist... ja, das ist nicht ganz so direkt zugegangen wie man es vom Rollenspielhobby eigentlich gewohnt ist. Geschrieben wurde es vom NewQuest-Verlag, den physischen Vertrieb (und den eigentlichen Verlag) besorgt aber Prometheus Games, die mit Elyrion zusätzlich eine Eigenproduktion und mit Ratten! eine Gemeinschaftsproduktion mit dem Projekt Kopfkino im Angebot haben. Zur Einführung des Systems machte Prometheus das Grundregelwerk nicht nur in einer 'Totbaumversion' (also auf gedrucktem Papier) verfügbar, sondern bereits mehrere Wochen vorher auch als PDF-version zum Gratis-Download. Eine Methode, die bereits von Ratten! und von DeGenesis bekannt ist, aber dennoch Mut erfordert. Aber sehen wir uns einmal den Inhalt an. Was ist 'grotesker Horror' eigentlich, und wieso sollte jemand (noch) ein Grundregelwerk kaufen wollen? Die Welt Kurip-Aleph – anscheinend früher einmal Teil eines interstellaren Reiches – ist auseinandergedriftet. Nicht gebrochen – Bruchkanten sähen anders aus –, aber sie besteht jetzt aus vielen bis zu kontinentgroßen 'Schollen', auf denen die Bewohner leben. Gegen das weitere Auseinanderdriften sollen Stahlkonstruktionen helfen, die die Schollen miteinander verbinden. Dennoch ist Opus Anima kein Endzeit-Rollenspiel. Die Kultur ist m.E. spätviktorianisch, man fühlt sich in vielen Beschreibungen zurückversetzt in Filme wie Metropolis von Fritz Lang oder Der Golem und wie er in die Welt kam. Steampunk, Fantasy, Science Fiction und Historie geben sich hier ein munteres Stelldichein, das, und das ist überraschend, tatsächlich einmal ausgetretene Wege verlässt und eine stimmige, ungewöhnliche und interessante Welt beschreitet. Auf diesen Schollen... naja... leben nicht nur Menschen, sondern auch noch künstlich oder natürlich mutierte 'Nachkommen' von Menschen, sowie eine Fremdrasse, die echsenartigen Sanherib. Neben Menschen und Sanherib gibt es noch eine ursprünglich küstliche erschaffene Arbeiterspezies (Abara), Menschen, die durch Krankheiten mutiert sind (Brunad) und Halbmenschen, deren Erbmaterial teilweise von einer ausgestorbenen Rasse Aliens abstammt. Man darf nicht vergessen, dass diese auch teilweise sehr unterschiedliche Augen und Biowerte haben (teilweise sehr hohe Körpertemperaturen), was nur durch das Handwavium der Entstehung dieser auseinander gedrifteten Welt erklärbar ist. Irgendwie stört das aber nicht. Zusätzlich sind die Spielercharaktere möglicherweise auch noch ihrer Seelen verlustig gegangen. Das Ergebnis, zu dem dieses bei 'normalen' Bewohnern von Kurip-Aleph führen würde, dem Tod, wird hier durch irgendwelche 'höheren Wesen' verhindert. Allerdings müssen die Charaktere jetzt versuchen ihre Seelen wieder einzusammeln, die im Stile von Inu Yasha's Shikon no Tama zersplittert sind, und dabei auch die Eigenschaften überwinden oder ausnutzen, die ihnen die 'höheren Wesen' gegeben haben, wie zum Beispiel ein fehlendes Gedächtnis oder Blindheit. Das System heißt nicht umsonst "Rollenspiel um grotesken Horror". Grotesk ist hier allerdings weniger im Sinne von 'komisch' zu verstehen, sondern mehr im Sinne des Grusels einer Freakshow, denn beispielsweise ein 'ausgeweideter' Spielercharakter (dem also die Eingeweide fehlen) oder ein Spielercharakter, der ständig verletzt und in Schmerzen ist, bieten meist doch recht wenig Komik. Diese Eigenschaften, die den Spielercharakteren gegeben wurden, damit sie ihre Seelensplitter wiederfinden können, werden als "Wege" bezeichnet, und geben den Spielern auch im Laufe der Zeit steigende Fähigkeiten, die mit den Wegen und ihren Themen korrespondieren. Auch wenn die Erwähnung gerade im Zusammenhang mit einem Prometheus-Spiel kritisch ist, erinnern mich die Wege ein wenig an die Lektionen, die man in in Arcane Codex im Rahmen seiner Karriere erwerben kann, oder auch entfernter an die Featslisten, die in D&D 3(.5) bei steigenden Stufen zur Verfügung stehen. Zusätzlich gibt es eine 'Wahrheit hinter der Wahrheit', sprich eine Welt, die man als Seelenloser sieht, die eine verzerrte Originalwelt darstellt, wobei mir nicht ganz klar ist, inwiefern welche der Welten jetzt Tatsache sein soll. Erinnert mich ein wenig an Kult, wenn auch durch den viktorianischen Hintergrund interessant verfremdet. Auch das System wirkt bekannt, wenn es sich auch hierbei zumindest teilweise um eine parallele Entwicklung handeln dürfte. Man hat von Stats und Fertigkeiten her eine Anzahl Würfel, und jede gerade Zahl (oder jede ungerade Zahl, das kann man sich aussuchen) ist ein Erfolg. Ja, genau dieselbe Beschreibung verwendet auch Ubiquity, wobei hier wohl tatsächlich zwei Male dasselbe Rad (wieder) erfunden wurde – das auch vor vielen Jahren bereits im Prince Valiant Storytelling System zu finden war. Nur benutzte Prince Valiant ausdrücklich einen amphisbenischen bipolaren Determinator (auch bekannt als Münze), während Opus Anima und Ubiquity beliebige Würfel benutzen lassen. Kleine Haarspalterei: bei Ubiquity wird ausdrücklich darauf hingewiesen, dass es Würfel sein müssen mit einer geraden Anzahl aufeinanderfolgend nummerierter Flächen – also keine 'Tricks' verwendet werden dürfen wie siebenseitige Würfel, die 'echten' Dreiseiter aus dem Cwali-Spiel Powerboats, oder auch Dopplerwürfel von Backgammon. Irgendwie fließt allerdings das Opus-Anima-System runder und schneller als Ubiquity, wobei ich nicht ausmachen kann, woran es liegt. Eigentlich sind die beiden Systeme einander zu ähnlich, als dass es fühlbare Unterschiede geben dürfte, aber den Eindruck habe ich trotzdem. Was dafür wesentlich schlechter fließt, ist allerdings der Aufbau des Opus-Anima-Regelwerkes. Zuerst wird ausführlich die Welt beschrieben, dann folgen (gute) Spielleitertipps und -hinweise. Als zukünftiger Spieler fragt man sich aber die ganze Zeit, wie man mit dieser Welt interagieren soll, was die eigenen Fähigkeiten sein könnten, und wie das ganze 'im inneren' zusammenhält. Das (sprich, die Regeln zur Charaktererschaffung und die übrigen tatsächlichen Regeln) erfährt man erst ganz am Ende des Wälzers. Vielleicht liegt es daran, dass man es von anderen Systemen anders gewohnt ist, aber mir wäre viel lieber gewesen, wenn ich früher bereits etwas über die Charaktere erfahren hätte. Nicht unbedingt (wie oftmals gebräuchlich) ganz zu Anfang – die Welt ist doch so seltsam und die Seelenlosen so ungewöhnlich, dass man wissen muss, was damit gemeint ist, bevor man die Regeln liest – aber die ganz feinen Details zur Welt hätten für mich gerne hinter die Charaktere sortiert gekonnt. Allerdings liest das Regelwerk sich noch aus einem anderen Grund unrund. Wohl um das Groteske der Welt ins Lesen einfließen zu lassen, wurde das Regelwerk nicht mit einem 'Standardfont' gesetzt. Stattdessen variiert der Font in der Positionierung, der Zeichengröße, der Richtung und so weiter. Zu Beginn sind die Variationen minimal und fallen kaum auf, aber vor allem im Teil, in dem die zweite Realität beschrieben wird, fand ich diese Variationen doch mehr störend als stimmungsvoll. Wenn man von diesen, teilweise eher drucktechnischen Punkten absieht, ist Opus Anima ein recht interessantes System, das vor allem durch sein ungewöhnliches Setting besticht. Wenn auch die Geschichte eines Seelenlosen wohl kaum in einer Einzelsitzung abgehandelt werden kann (und das System daher weniger Con-tauglich ist) – für Kampagnen ist es sicher eine interessante Alternative. Nachtrag: auf Nachfrage erklärte mir Christian Loewenthal von Prometheus, dass seiner Einschätzung nach das Download-Angebot den Verkauf eher positiv beeinflusse, auch weil sich die Spieler so im Vorfeld zuhause die Charaktere erstellen können.

HerstellerNewQuest
Autoren Felix Mertikat, Till Bröstl, Maja Karos, Manfred Fischer, Tim Struck, Andreas Steiner, Mathias Kwapil, Carsten Gimpel
Spieler RPG
Denken n/a
Glück n/a
Geschicklichkeit n/a
Preis ca. 38,95€ (Buchpreisbindung)

Anzeige Opus Anima ist zum Beispiel erhältlich über den Pegasus-Webshop

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