x Roachware: Wahnsinnsangst

Dienstag, 11. März 2008

Wahnsinnsangst

Dementophobia

Ein wichtiger Teil des Rollenspiels Cthulhu (die Deutsche Version von Chaosiums Call of Cthulhu) ist, dass die Charaktere der Spieler wie auch der Nichtspieler dem Wahnsinn nahe sind, oder die Grenze bereits überschritten haben. Leider ist die Darstellung dieses Themenkomplexes schon für Experten schwierig - und ein Amateur (und die meisten Spieler dürften wohl als solche einzuschätzen sein) hat es dann noch einmal viel schwieriger.

Hier greift Pegasus' Dementophobia ein, das sich komplett den geistigen Störungen und ihrer Darstellung im Spiel verschrieben hat. Dieser Hardcover-Band ist eine Deutsche Originalausgabe; das will heißen, er ist von Deutschen Autoren für Deutsche Leser geschrieben. Und wieder einmal beweist Pegasus, dass eine Lizenzausgabe eines Produktes dem Original voraus sein kann...

In der Liste der Autoren entdeckt man einige Namen, die einen hervorragenden Klang haben. So hat Frank Heller, der eigentlich Chefredakteur für de gesamte Cthulhu-Linie bei Pegasus ist, zusammen mit Malte Elson (und einigen nicht namentlich genannten Experten) die Umsetzung des Themas in Cthulhu-Regeln geschrieben, Peer Kröger (bekannt von vielen älteren Cthulhu-Materialien) hat einige Teile beigetragen, und André Wiesler (bekannt auch von DSA und Shadowrun sowie als Autor) hat eine ganze Reihe Abenteuerideen beigetragen. Und die Liste geht noch viel weiter.

Das Buch ist übersichtlich strukturiert. Nach einer kurzen Einführung über den "Wahnsinn im Wandel der Zeit" (mit einigen allgemeinen Anmerkungen für den Spielleiter und einer Liste von Filmen zum Thema) kommt ein größerer Abschnitt über geistige Störungen. Ich bin sicher kein Experte auf diesem Gebiet, aber was ich las, schien mir den aktuellen Stand der Kenntnisse gut widerzuspiegeln.

Als nächstes kommt ein Stück über die Heilung der Störungen. Zunächst werden die unterschiedlichen Gesundheitssysteme der verschiedenen Kernländer für Cthulhu-Abenteuer in den 20ern (Deutsches Reich, USA, Großbritannien) wiedergegeben, wobei bei Großbritannien auch kurz auf den 1948 eingeführten National Health Service eingegangen wird. Der Schwerpunkt liegt aber, wie auch bei den Heilmethoden im Anschluss, auf den Gegebenheiten der '20er und frühen '30er Jahre. Von der weiten Welt der modernen Psychopharmaka ist also noch kaum etwas zu spüren, stattdessen findet man Behandlungsmethoden wie Neosalvarsan, die Mastkur oder auch die Fieberkur. Viel Material für den Spielleiter um seine Spieler zu triezen.

Irgendwann kommt dann sicher auch einmal die Zeit, dass die Charaktere eine Nervenheilanstalt aufsuchen. Sei es, dass sie als Patient kommen, oder auch, dass sie jemanden aufsuchen wollen, dessen geistige Gesundheit bereits ausgedehnten Urlaub eingereicht hat. Für diese Fälle bietet Dementophobia eine Reihe von acht sehr unterschiedlichen Heilanstalten, vom guten, aber auch teuren Sanatorium bis hin zur reinen Bewahranstalt, in der eine Heilung eher unwahrscheinlich ist. Aber auch hier gibt es einige Cthulhu-typische Schlenker. So ist eines dieser Sanatorien bereits so sehr in der Bürokratie verstrickt, dass eine Behandlung bereits reiner Zufall ist – eine Heilung noch viel mehr. Man fühlt sich bei der Beschreibung an das 'Haus, das Verrückte macht' aus Asterix erobert Rom erinnert. Ein anderes hat einige sehr überraschende Heilungserfolge zu verzeichnen, die an der wirklich, nun ja, ungewöhnlichen Heilungsmethode liegen... Insgesamt kann man diese Häuser dennoch alle als Versatzstücke in eigene Abenteuer einbauen.

Zwischen all diesen interessanten Texten eingestreut finden sich wichtige Personen der Zeit mit Spielwerten (auch Siegmund Freud, dem die Spieler in den 20ern ja durchaus begegnen könnten, wird nicht vergessen) und Beschreibungen, sowie kurze Abenteuerideen, die nur noch ausformuliert werden wollen.

Abgeschlossen wird das ganze dann noch durch eine Reihe von drei großen, ausgearbeiteten Abenteuern, von denen eines aus dem Englischen übersetzt wurde, während die anderen beiden Originale sind. "Das verlorene Gestern" handelt von Patienten, denen, wie der Titel bereits vermuten lässt, ein Teil ihrer Erinnerungen verloren gegangen ist. Diese Erinnerungen kann man während des Abenteuers in einer Reihe von Flashbacks zurückerhalten – und wünscht sich dann evtl. sie nicht zurückerhalten zu haben. Ein dichtes, stimmiges Abenteuer, das nur das Mittel des Flashbacks ein klein wenig überstrapaziert. "In Scherben" ist ein One-Shot mit vorgeschriebenen Charakteren, die alle einen verstorbenen Verwandten, einen Großindustriellen, beerben wollen. Das Abenteuer spielt in München im Jahr 1923, aber wer jetzt "Sturm auf die Feldherrnhalle" denkt, wird etwas enttäuscht sein: Hitlers erster Griff nach der Macht wird nur als Dungeon Dressing verwendet. Dies Abenteuer will wohl von Spielern gespielt sein, die das System und den mythos gut kennen, es lebt vor allem von der Interaktion der Spieler. Das dritte Abenteuer, "Das Sanatorium", ist eine Übersetzung des Sanatoriums aus Mansions of Madness. Dies Abenteuer richtet sich wohl eher an Cthulhu-Neulinge, denn welcher erfahrene Spieler wird nicht schreiend das Weite suchen, wenn der Spielleiter vorschlägt, ein Sanatorium auf einer kleinen Insel im Atlantik zu besuchen? Im Laufe des Abenteuers entwickelt sich dann meist ein Gefühl wie Shining von Stephen King...

Auch die Verarbeitung des Bandes entspricht ganz dem hohen Standard, den wir von Pegasus gewohnt sind. Mit rund 30 Euro ist dieser Band sicher nicht überbezahlt, auch wenn man sicher nicht alle Materialien verwenden können wird – nicht, weil es nicht passen würde, sondern ganz einfach, weil es so viel ist.

Hersteller

Pegasus Spiele

Autor

Heiko Gill (Red.)

Spieler

Rollenspiel

Denken

n/a

Glück

n/a

Geschicklichkeit

n/a

Preis ca.

29,95 € (Buchpreisbindung)

Anm.: Für diese Rezension wurde mir freundlicherweise ein Exemplar von der Spielegilde Alveran zur Verfügung gestellt.

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